Montag, 28. September 2009

Hallo Ihr Lieben Leser!

Es ist gerade halb 7 Uhr abends und schon seit einer Stunde sieht es draussen nach allertiefster Nacht aus.
Gestern wurde die Uhr zurückgestellt und die Zeit natürlich auch (was ich typischerweise vergessen hatte und deswegen
statt um 8 Uhr morgens, schon um 7 beider Arbeit aufgekreuzt war) somit scheint die Sonne NOCH früher unterzugehen. Das fällt deutlich auf, zumal uns gestern die Sicherungen durchgebrannt sind oder was auch immer, jedenfalls ist unsere Wohnung nun stockdunkel und wir leben wie im Mittelalter, nur dass der Kühlschrank noch funktioniert.
Als ich dann gestern Abend bei Kerzenlicht gelesen habe, habe ich von Valentina gelernt, dass es zwar ungesund ist im dunklen Fern zu schauen, nicht aber bei Kerzenlicht zu lesen. Also mehr lesen und wenig
er fernschauen!
Übrigens sind wir jetzt zeitgleich mit Deutschland, was mir schon komisch vorkommt, weil hier ansonsten wenig a
n Deutschland erinnert.

Heute ist Montag, wir sind also schon seit gut 2 Wochen hier und ich weiss gar nicht wo ich anfangen soll.

Vielleicht bei der Arbeit?
Das "hostel" (so werden die Einrichtungen genannt) i
st ein kleines Heim, in dem 7 Autisten zwischen 17 und 23 Jahren leben, davon ein Maedchen. Die von Eltern gegruendete Organisation Alut "betreibt" es als eins von ueber 20 Heimen in ganz Israel. Jedes Heim ist anders, was Anzahl und Krankheitsauspraegung der Bewohner betrifft.
Unseres ist ein sehr kleines und intimes Hostel, die Autisten hier sind low-functioning, haben also nichts mit dem RainMan-Image zu tun, das man vielleicht haben mag.
Jeder von den 7 Bewohnern hat eine etwas andere Stufe der Entwicklung, aber im Grunde koennte man sie sich vom Verhalten wie geistig auffaellige 4 jaehrige vorstellen.


Die Arbeit besteht im Grunde aus Pflege und Hilfe. Ohne Hilfe sind Roji, Schabi, Mischa, Raphael, Menni, Omri und Efrat(Maedchen) im Grunde zu keiner fuer uns alltaeglichen Leistung wie aufs Klo gehen, Dus
chen, Essen bereiten oder aehnliches faehig. Wie gesagt manche sind besser manche schlechter darin. Hier ein kurzer Ueberblick, weil ich sie nicht in einen Topf schmeissen will:

Roji: Roji ist ein knuddeliger Uebergewichtiger Junge, der sein Winni-Pooh-Stofftier so liebt, dass er davon schon 2 Stueck auseinandergerissen hat. Roji wendet stark Gewalt gegen sich selbst an, schlaegt sich mit der flach
en Hand auf das Gesicht und hat deswegen staendig blau-lila Wangen. Er traegt oft Socken ueber den Haenden, die ihm helfen sich zu beherrschen, gleichzeitg soll er nicht von ihnen abhaengig gemacht werden und wenn es ihn dann doch stark juckt, dann weiss er auch wie er sie auszieht...gestern ist er bei einem Spaziergang ausgebuechst und schwups ins Nachbarhaus gelaufen, wo die Tuer undabgeschlossen war (keine seltenheit hier), hat sich aufs fremde Bett geschmissen, und sich nicht von 2 beiden Maedchen wegziehen lassen, die mit ihm gegangen waren, erst als Mustafa kam, hat er das bett des Nachbars dann geraeumt...:D

Schabi: Schabi wurde als Kind von seinen Eltern misshandelt und wohnt seitdem hier, er ist der einzige der sich nicht ab und zu auf Familien
besuche freuen kann. Er ist ausserdem derjenige mit dem niedrigsten geistigen Level, er redet ueberhaupt nicht, gibt nur Laute von sich. Er hat ein Problem mit dem Gleichgewichtssinn und wackelt immer vor und zurueck, spielt ausserdem leidenschaftlich gerne mit seiner Spucke. Typisch fuer Autisten sind Obsessionen, seine Spuckspiele gehoeren dazu, manchmal KANN er ueberhaupt nicht damit aufhoeren, auch wenn er beispielsweise muede ist. Er braucht Hilfe bei allem und wacht fast jeden morgen vollgekackt auf, weil er nicht weiss wann er aufs Klo muss.

Mischa: Mischa ist nicht nur Autistisch sondern auch schizophren, er ist sehr ungeduldig und bekommt oft (vor allem zwischen 2 Beschaeftigungen, oder wenn er sein Essen nicht zuerst kriegt) hysterische Anfaelle. Er
ist recht selbststaendig was Duschen und Anziehen betrifft, laeuft aber recht apathisch durch die Gegend, wenn er denn geht, denn meistens liegt er einfach nur. Er redet hauptsaechlich nur wenn es ums Essen geht und laechelt wenig. Da er russische Eltern hat und ich kein hebraeisch kann (dazu spaeter) habe ich ihm ein russisches Nachtlied gesungen, und es scheint ihm gefallen zu haben, das heisst er versteht mehr als es scheint. Er liebt Musik und hat ein ueberstarkes Hoervermoegen, Sachen die wir nicht mitkriegen, wie ein leise laufender Fernseher im Hintergrund, koennen fuer ihn ueberaus stoerend sein.

Raphael: Raphael hat Amerikanische Eltern und spricht auch Englisch. Er ist derjenige, der mit Abstand am meisten spricht, 95 Pronze
nt davon sind aber seine Rezitationen von Zeichentrickfilmen, die er auswendig kennt. Er verstellt dabei seine Stimme auf eine sehr lustige Art und Weise und gibt staendig Satzfragmente von sich, die sich meistens wiederholen. Das ist zwar ziemlich witzig und unterhaltend, aber fuer ihn ist das weniger Spass als eine Obsession. Wenn er muede ist und zu Bett gehen soll beispielsweise kann er einfach nicht aufhoeren, sagt sich dann selber staendig "Good Night! Good Night!" und hat mit seiner eigenen Stimme zu kaempfen. Er ist sehr youtube-bewandelt (wo er die comics auch schaut) und ist wohl der einzige, dem man einen Computer anvertrauen kann und es auch tut.

Menni: Menni...ist ein sehr witziger Kerl. Dazu auch noch winzig (1.45). Er schaut einem NIE NIE NIE in die Augen, was fuer autisten eigentlich nicht ungewoehnlich ist, aber verglichen mit seinen Mitbewohnern schon. Er spricht auch kein Sterbenswort, kleidet sich dafuer fuer sein Leb
en gern an und aus. Ich habe ihn schon unzaehlige Male nackt rumlaufen oder Nackt auf dem Fernsehschrank sitzen und an sich rumspielen gesehen. Ausserdem hat er eine Verschuett-Leidenschaft. wenn man nicht aufpasst (abermanchmal auch wenn) verschuettet er sein Essen in deinen Teller oder auf den Tisch oder wohin auch immer. Generell ist er ein wenig link. Waehrend Mischa manchmal nciht zu wissen scheint wo er ist und wo er nicht ist, wartet Menni nur darauf unbeobachtet zu sein und irgendeinen Scheiss zu machen, beispielsweise in die Wohnzimmerecke zu pinkeln. Er neckt auch gerne die anderen und scheint es zu geniessen geschlagen zu werden, hat also Masochistische Neigungen. Wieso ich sage, dass er wotzig ist, liegt daran dass er fuer mich wie ein lustiger Politiker aussieht, weil er immer stolz-wirkende Posen annimmt und urkomisch guckt, mich dabei an einen Politiker-Verschnitt erinnert.

Omri: Omri ist der einzige der nicht unregelmaessig
Gewalt (nicht gegen sich selbst) anwendet und mit ihm habe ich bisher nur negative Erfahrungen gemacht, weswegen ich mich nur langsam an ihn rantraue. Er hat einen stark ausgepraegten Geruchssinn und hat eine Obsession mit starken Geschameckern, vor allem ist er in das Essen von kaffepulver und gerauchten Zigarettenstuemmeln vernarrt. Nicht sehr gesund...Er ist mit Schabi und Efrath einer von den 3en die noch zur schule gehen, und weil sich da keiner mit einem aggressiven Omri rumschlagen will, lassen sie ihn dort die Kippenstummel essen. Wenn er also einen tag nicht zur Schule geht, merkt man ihm den Entzug praktisch an und bei jedem spaziergang kommt es zu einer rangelei zwischen ihm und dem jeweiligen Mann der arbeitet, weil man ihn von jeder auf der Strasse liegenden Kippe wegreissen muss. Da unsere Wohnungstuer ca. 1.5 Meter vom eingang ins Aufenthaltszimmer der Autisten entfernt ist, und wir in unserer Kueche einen Aschenbecher stehen haTTen, ist es ihm schon 3 Mal gelungen bei uns einzubuechsen und sich alles in den Mund zu stopfen..das lag nur daran dass irgendwer (meistens wir anfaenger) irgendeine Tuer nicht richtig zugemacht hatten, aber der fehler passiert uns nicht wieder. Jedesmal wenn man ins aufenthaltszimmer eintreten will muss man aufpassen, da Omri irgendwo lauern kann und sich dann ziemlich unsanft ein dir vorbeidraengelt, weil er auf eine Kippe hofft. Eine Mitarbeiterin hat vorletzte Woche erst eine blutige Lippe geerntet.

Efrat: Efrat ist an sich unkompliziert und sehr suess, nur hat sie sehr oft Stockanfaelle nenne ich es mal. Das bedeutet dass sie i
n mitten einer Handlung die sie selbst ausfuehren will einfach stockt und nicht weiter kann, dann wird sie ein bisschen hysterisch und laesst sich eigentlich nur durch Zeit beruhigen. Sie spielt gerne Puzzle, was eine Ausnahme ist, weil die anderen sich von keinen Spielen so richtig fesseln lassen, nicht mal der Spielplatz ist fuer sie interessant. Gestern hat Efrat den ganzen oberen Stockwerk, wo sich die Zimmer und die Baeder befinden vollgekotzt und wir hoffen, dass sie nicht krank wird.

Soweit der Mini-Durchlauf.
Ihnen allen sind persoenliche Obsessionen gemeinsam, aus denen sie sich nur schwer selbst befreuen koennen. Ausserdem kennen
sie keine Grenzen was Essen und trinken angeht, sie essen SEEHR schnell und falls man sie nicht stoppt, so lange bis sie kotzen und von ihnen aus auch dann noch weiter. Manche scheinen EXTRA so viel zu trinken bis sie kotzen, es scheint ihnen Spass zu machen, aber das koennen wir meistens verhindern, weil wir immerhin 3 Leute in einer Schicht sind.

Ausser Schabi bekommen alle Medikamente. Das ist sehr schade, weil diese starken Medikamente auch schlimm Nebenwirkungen haben, aber ohne sie waeren die Autisten extrem aggressiv und wuetend, sodass man die Uebel abwaegen muss.

Ausser an Schabbath und Feiertagen gehen die drei juengeren Bewohner zu einer speziellen Schule und der aelteren 4 zu einem Ort wo sie je nach vermoegen Handwerkliche Sachen machen.

Im Grunde scheinen die "Chaverim" (Freunde/Mitglieder) recht g
luecklich opder zufrieden zu sein, soweit man das beurteilen kann. jedenfalls sieht man oft ein laecheln, was nicht unbedingt typisch ist und es gibt sogar Entwicklungen! Im Grunde sind wir nciht nur dafuer da sie im Alltag zu begleiten und ihn einzurichten sondern auch um ihnen ein Stueck Selbststaendigkeit und Ehre zu geben, und wir haben gehoert (um es zu sehen, sind wir nicht lange genug hier) dass es tatsaechlich kleine Entwicklungen gibt. Bei dem einen mehr und bei dem anderen weniger und antuerlich nicht so stark, dass einer von ihnen jemals selbsttaendig leben koennen wird aber immerhin etwas. Gemessen an ihrem Handicap ist es naemlich schon sehr viel, wenn sie sich hinter verschlossener Tuer selbststaendig und verlaesslich duschen und sich danach vollstaendig ankleiden koennen, und zwar ohne Anweisung.


Die Leute mit denen wir zusammenarbeiten sind alle sehr toll und machen ihre Arbeit gut, eigentlich mehr als Aufgabe, Mission als als Arbeit. Sie haben zumeist keine besondere Ausbildung, sondern mehr Erfahrung und Wunsch, was vollkommen ausreicht. Natürlich gibt es nebenher auch externe Leute wie Aertzte, eine Köchin, eine Masseuse
...

Um diesen Teil vorerst abzuschliessen, sage ich noch etwas recht wichtiges,nämlich dass die Arbeit hier viel mit Geduld zu tun hat und mir sehr gefällt!
Gleichzeitig ist es so, dass viele von ihren fuer uns richtigen und "normalen" Reaktionen nicht auf Verstaendnis sondern auf Erinnerung an bestimmte Muster beruhen.
Ich habe gedacht es koennte ein Problem werden, dass unsere Rueckzugsmoeglichkeit in Form unserer Wohnung keinen wirklichen Abstand bietet, da sie sich unmittelbar im kleinen Komplex befindet, unterhalb eines der Zimmer fuer die Autisten, sodass wir auch an freien Tagen einiges mitkriegen. Bisher jedoch ist mir das nicht belastend vorgekommen und hat mich auch uebrhaupt nicht gestoert.
Unsere 2 Zimmer Wohnung teilen wir mit einer Israelischen Voluntaerin, die aber in einer anderen Alut Einrichtung arbeitet und die wir kaum zu Gesicht bekommen, somit ist die Wohnung auch nicht zu klein und ueberraschenderweise stoert es mich gar nicht kein Zimmer fuer mich zu haben, da ich Glueck mit
meiner mitVoluntaerin Valentina habe, auch wenn wir eigentlich ziemlich verschieden sind.

Die Wohnung war anfangs eine ziemlich versaute ruempelkammer, ganz Israel typisch, so wie ich es mag, aber nach einigem Aufraeumen und D
ekorieren ist sie sehr angenehm und wir duerfen sie weiterhin ganz nach unserem Geschmack veraendern und bevoelkern (noch 12 Tage bis bibi kommt :) :) :) )

Interessant ist vielleicht noch, dass wir im Stadtteil Malha wohnen, uns auf einem berg befinden, mit einer tollen Aussicht ueber Je
rusalem, und ca. 20 Minuten von der Innenstadt entfernt (mit dem Bus).

Ausser es ist Schabbath oder wie heute Jom Kippur (wichtigster Feiertag nach schabbath!) an denen besonders aber nicht nur in Jerusalem buchstaeblich KEINE oeffentlichen Verkehrsmittel fahren. An schabbath betrifft das die Busse. An Jom Kippur hingegen faehrt auf den Strassen KEINE SEELE VON EINEM AUTO, NICHT EINMAL TAXIS! Stellt euhc das vor! ich glaube, es gibt kein anderes Land wo es so etwas gibt. hier schon. an jom kippur, gestern und heute also, steht die welt still, nur krankenwagen und polizeiautos verkehren aber auch das n
ciht wirklich weil niemand irgendetwas macht ausser spazierengehen und sich somit auch niemand verletzt. alles ist geschlossen, leute die nicht mal an Gott glauben fasten aus respekt (oder langweile?) mit und schalten bedaechtig ihre Handys aus (wie unser chef den wir gestern nicht wegen des elektrizitaetsproblems erreichen konnten^^). ich nenne jom kippur den gesunden feiertag und bin ganz froh, dass er jetzt bei nachteinbruch vorbei ist :) :)

puh, das war ja jetzt ein dicker happen, ich lasse ihn euch verdauen und schreibe bald wieder, weil ich noch nicht einmal alles au
fgeholt habe :)

viele gruesse und schreibt mir ich freue mich!
alina
:)

noch was fuers auge
(klick auf die Bilder fuer eigentliche Groesse)


2 Kommentare:

  1. shalom alina,
    ich war bis vor kurzem damit beschäftigt bei meiner oma das internet samt wlan router und dem restlichen technik-kram zu installieren, dass wenn ich nicht den net-cologne support telephonisch erreicht hätte ausgerastet wär.
    ich habe es aber nun geschaft und bin stolz!

    Daraufhin möchte ich natürlich auch mal schauen wie das surfen nun so funktioniert und habe mir erstmal angeschaut was du so neues auf lager hast.
    ich finde dass richtig toll wie du die einzelnen Charaktere beschrieben. ich kann mir sie so richtig vorstellen, besonders den kleinen politiker.
    ich war gerade gefesselt von deinen charakatarisierungen.
    die ganze geschichte hat mich an das buch von gildan elbom 'scream queens am toten meer' erinnert: der typ versetzt sich wieder in sein studenten alter und beschreibt unteranderem wie er in einem heim arbeitet...auf eine super lustige art und weise...
    der einzige unterschied ist, dass er sich alles ausgedacht hat wogegen du es tatsächlich lebst...

    vielleicht kennst du es ja schon, aber ich nehme es morgen auf jeden fall mit in die schule und gebe es tobi, der soll dir das ausrichten...

    ziom,ziom,
    boker tov,

    krishna

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  2. Holy Moly...
    Na da bin ich ja gespannt was du noch so zu berichten haben wirst...
    Liebe Grüße
    Matthias

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